Der Lischka Prozess
Die Zeuginnen und Zeugen spielten im Lischka-Prozess nur eine untergeordnete Rolle. Für die Beweisführung gegen die drei Angeklagten waren vor allem die Unterlagen wichtig, die diese während ihrer Zeit in Frankreich unterzeichnet hatten und die bewiesen, dass sie von den Deportationen der Juden gewusst haben mussten. Da von vorneherein klar war, dass das Verfahren sich überwiegend auf schriftliche Dokumente stützen würde, waren nur wenige Zeuginnen und Zeugen geladen wurden. Es wurde über 160 Schriftstücke, die die Schuld der Angeklagten belegen sollten, vorgelegt, und nur 16 Zeuginnen und Zeugen, von denen letztendlich nur zwölf vor Gericht erschienen, waren geladen.
Dass nur so wenige überhaupt vernommen wurden, hatte zwei Gründe: Vor allem lag es an den Funktionen, die die drei Angeklagten in Frankreich inne gehabt hatten. Hagen, Lischka und Heinrichsohn hatten zwar die Planung und Durchführung der Razzien und Deportationen organisiert, hatten dies aber hauptsächlich durch die Weitergabe von Beschlüssen und Anordnungen getan und waren kaum persönlich bei den Aktionen anwesend gewesen. Einzig Ernst Heinrichsohn hatte von Zeit zu Zeit das Lager Drancy besucht hatte, um die Abtransporte der Gefangenen zu überwachen. Es gab also auf der Opferseite nur wenige Zeugen, die die Angeklagten direkt zu Gesicht bekommen hatten und aus eigener Anschauung etwas über deren Verhalten hätten sagen können.
„Die Kinder wurden alle sehr schnell bereits nach einigen Tagen, etwa zwei oder drei Tagen, deportiert.“
Odette Baltroff-Baticle
Odette Daltroff-Baticle lebte in Tourelles, Frankreich, und wurde im August 1942 im Alter von 32 Jahren in das Lager Drancy gebracht, weil sie Jüdin war. Dort blieb sie bis zum 29. Mai 1943 inhaftiert.
Marie Husson wurde am 13. August 1942 wegen ihres jüdischen Glaubens fest- genommen und in Drancy inhaftiert. Sie blieb dort, bis sie am 22. Dezember 1942 wieder freigelassen wurde. Auch sie verdankte ihre Entlassung der Ehe mit einem nicht-jüdischen Mann.
Georges Wellers wurde während der deutschen Besatzung Frankreichs zuerst in Compiègne interniert und dann nach Drancy gebracht. Von dort wurde er nach Auschwitz und später nach Buchenwald deportiert.
Erna Schnarch stammte ursprünglich aus Rumänien. Sie lebte seit 1938 in Frankreich und hatte in Nancy Jura studiert. Nach der Bombardierung der Stadt im Jahr 1940 zog sie nach Paris, konnte dort aber nicht mehr richtig Fuß fassen. So wurde sie an der Pariser Universität nicht akzeptiert.
Bei allen weiteren Zeugen handelte es sich um ehemalige NS-Funktionäre. Sie waren entweder als Kollegen oder Untergebene der Angeklagten in Paris gewesen, oder hatten in anderen Ländern ähnliche Positionen wie diese innegehabt. Ihre Aussagen sollten Aufschluss über die genauen Tätigkeiten Lischkas, Hagens und Heinrichsohns geben und die Frage klären, wie viel diese über die Hintergründe der Deportationen gewusst haben konnten.
Die hohe Anzahl der Zeugen, die sich selber der NS-Verbrechen schuldig gemacht hatten, stieß bei vielen Beobachterinnen und Beobachtern auf Unverständnis und führte auch während der Gerichtsverhandlung immer wieder zu Protesten. Besonders die Opfer konnten nicht verstehen, dass den Tätern nun eine öffentliche Plattform geboten wurde, auf der sie nicht nur ihre früheren Kollegen in Schutz nehmen, sondern auch ihre eigene Unschuld erneut beteuern konnten. Vor allem die Tatsache, dass bis auf zwei Zeugen noch keiner selbst verurteilt worden war, löste großen Unmut aus. Die Vertreter der Nebenklage, Serge Klarsfeld und Friedrich Karl Kaul, forderten mehrfach, die Verurteilung dieser Täterzeugen. Zu einem Eklat kam es bei der Vernehmung Anton Söllners. Dieser war Aufseher in Drancy gewesen und nach Ende des Krieges von einem französischen Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden. Von einer deutschen Instanz war er danach jedoch nie wieder belangt worden. Als er vom Vorsitzenden Richter in den Zeugenstand gerufen wurde, verließ Serge Klarsfeld als Zeichen des Protests den Gerichtssaal. Auch in den Medien sorgte dieser Fall für Aufsehen, besonders nachdem sich herausstellte, dass auch viele Vertreter der Justiz nichts von dem Todesurteil gegen den Zeugen gewusst hatten.
Tatsächlich brachte die Vernehmung der meisten Täterzeugen die Verhandlungen kaum weiter. Dies galt sowohl für die Personen, die die Ankläger als Zeugen berufen hatten, als auch für diejenigen, die von der Verteidigung angeführt wurden. Da gegen einige ein offenes Verfahren wegen ihrer NS-Verbrechen lief, machten zwei von dem bestehenden Aussageverweigerungsrecht gebrauch. Doch auch die Aussagen der anderen waren wenig ergiebig. Fast alle beteuerten, von nichts gewusst zu haben, um sich nicht selber zu belasten und nahmen auch ihre ehemaligen Kollegen Lischka, Hagen und Heinrichsohn in Schutz. Dies ging soweit, dass der Vorsitzende Richter Dr. Heinz Faßbender die letzten Zeugen bat, sie mögen doch lieber die Aussage verweigern als erneut „Lügengeschichten“ zu erzählen. Die einzigen verwertbaren Aussagen machten Wihelm Harster und Wilhelm Zoepf, die bereits für ihre Taten verurteilt worden waren.
Bedingt durch den langen Zeitraum von der Tat bis zur Verhandlung war es zudem schwierig, noch vernehmungsfähige Zeugen zu finden. Viele waren bereits gestorben oder zu alt und krank, um ihnen die Reise nach Köln und die Vernehmungen vor Gericht zuzumuten. In den meisten Fällen verzichtete das Gericht darauf, eine schriftliche Aussage einzufordern. Das galt auch für Helmut Knochen, den Vorgesetzten Lischkas in Paris. Da er aus Krankheitsgründen nicht in Köln erscheinen konnte, lehnte das Gericht den Antrag der Verteidigung ab, stattdessen die von ihm bereits 1975 gemachte Aussage zu verlesen. In dieser hatte er angegeben, dass ihm der Name Auschwitz nichts gesagt hätte. Außer der Aussage von Erna Schnarch wurde nur noch die von Karl Oberg, der zum Zeitpunkt des Prozesses bereits gestorben war, schriftlich angeführt.
Anton Söllner war während der NS-Zeit als SS-Scharführer, später SS-Oberscharführer, zunächst in der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag tätig, von wo aus er nach Berlin versetzt wurde.
Wilhelm Harster war von Mitte Juli 1940 bis Ende August 1943 SS-Standartenführer und Befehlshaber des BdS und SD in den besetzten Niederlanden.
Wilhelm Zoepf hatte den Rang eines SS-Hauptsturmführers und wurde ab 1942 mit der Aufgabe des „Judenreferenten“ innerhalb des BdS in den Niederlanden betraut.
Walter Nährich kam Ende des Jahres 1941 als Kriegsverwaltungsassessor in den Verwaltungsstab des Militärbefehlshabers in Paris.
Karl Kübler war wie Walter Nährich als Kriegsverwaltungsrat beim Militärbefehlshaber in Paris tätig, bevor er vom Befehlshaber des BdS und SD übernommen wurde.
Erich Wiedemann kam im Juli 1940 nach Frankreich, wo er bis August 1944 blieb. Zunächst war er beim BdS in Paris tätig, 1943 wurde er zum KdS nach Dijon versetzt.
Heinrich Illers war während des Vichy-Regimes als SS-Hauptsturmführer stellvertretender Kommandeur des SD von Paris und der Pariser Region.
Bevor Hans Henschke im November 1943 nach Paris versetzt wurde, hatte er seit 1936 bei der Berliner Gestapo im „Kirchenreferat“ gearbeitet.
Hans Jüngst war zeitgleich mit Herbert Hagen als Adjutant des Höheren SS- und Polizeiführers Karl Oberg in Paris.