Im Lischka-Prozess trat der Ostberliner Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul (1906-1981) als Vertreter der Nebenklage auf. Beate Klarsfeld war bereits im Prozess wegen des Entführungsversuchs von Kurt Lischka 1974 seine Mandantin gewesen. Als „der Anwalt der DDR“ nutzte Kaul jede Gelegenheit, um in NS-Prozessen die unzureichende Aufarbeitung von NS-Verbrechen durch die bundesrepublikanische Justiz anzuprangern.
„Dies ist das 19. Verfahren gegen nazistische Menschheitsverbrechen, in denen ich nahe Angehörige der Opfer vertrete.“
Kaul im WDR-Landesspiegel, 1980
Kaul hatte bereits 1928 als junger Rechtsreferendar an einem Verfahren teilgenommen, in dem die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wieder aufgerollt wurden. Der Verlauf des Prozesses evozierte erhebliche Vorbehalte gegenüber der preußischen Justiz. Nach der NS-Machtübernahme wurde Kaul im Februar 1933 aus „rassischen Gründen“ aus dem Referendariat entlassen, so dass er die für April 1933 angesetzte mündliche Prüfung des Zweiten Staatsexamens nicht ablegen konnte. Kaul schloss sich oppositionellen Gruppen an. 1935 wurde er bei einer Versammlung der Roten Hilfe von der Gestapo verhaftet. Die Nationalsozialisten internierten ihn in verschiedenen Lagern. Er kam 1937 nur frei, weil er im Besitz eines Visums nach Kolumbien war. Dort schlug er sich als Tellerwäscher, Kellner, Gelegenheitsarbeiter und schließlich Empfangschef eines Hotels durch. 1941/42 wurde Kaul in Nicaragua als feindlicher Ausländer interniert und an die USA ausgeliefert, wo er in ein Anti-Nazi-Camp kam. Unmittelbar nach Kriegsende kehrte er nach Berlin zurück. Er wohnte im östlichen Teil der Stadt und trat in die KPD ein.
Die alliierte Kommandantur ließ ihn 1948 als Anwalt in Berlin zu. So konnte Kaul bei allen Westberliner Gerichten und später auch in der Bundesrepublik tätig sein – ein Vorteil, den er in den Verfahren gegen NS-Täter nutzen konnte. Als „Anwalt antifaschistischer Offensiven“ wurde Friedrich Karl Kaul besonders durch den KPD-Verbotsprozess bekannt. Diese begann am 23. November 1954 vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts und endete erst fünf Jahre später mit dem Verbot der KPD.
Ab den 1960iger Jahren fokussierte sich der bekannte Jurist auf NS-Prozesse. 1961 nahm er am Eichmann-Prozess in Jerusalem teil – allerdings nur als Zuschauer. Die Knesset hatte ein Gesetz beschlossen – die sogenannte Lex Kaul – das bei Verfahren wegen Verbrechen, bei denen die Todesstrafe drohte, die Nebenklage für unzulässig erklärte. Als Grund wird vermutet, dass Israel verhindern wollte, dass SED-Mitglied Friedrich Karl Kaul im Gerichtssaal für mehrere jüdische Bürger aus der damaligen DDR auftreten konnte. Damit sollte erreicht werden, dass bei dem weltweit beobachteten Eichmann-Prozess in Israel kein Missbrauch dieses Prozesses für Propaganda gegen die Bundesrepublik Deutschland stattfand.
Die Handlungsoption der Nebenklage öffnete sich für Kaul erst wieder beim Frankfurter Auschwitzprozess 1963/64. Als Nebenkläger bot er Historiker aus der DDR als Gutachter und als Zeugen sogar den damaligen DDR-Industrieminister auf, der als Häftling in Auschwitz interniert gewesen war. Kaul fiel in diesem Prozess die Aufgabe zu, die Verstrickung der deutschen Industrie in die Verbrechen von Auschwitz zu thematisieren, auch wenn sich kein Wirtschaftsvertreter auf der Anklagebank wiedergefunden hatte.
Der Lischka-Prozess nach Jahren der Entspannungspolitik
Kaul war eine der eindrücklichsten Figuren des Kölner Verfahrens. Im „Lischka-Prozess“ vertrat er die Nebenklage von vier Mandanten: den DDR-Bürgern Roman Rubinstein und Marcel Grünberg sowie den Bundesdeutschen Peter-Philipp Gingold und Max Oppenheimer. Oppenheimer, dessen Vater von der Gestapo aus Südfrankreich nach Majdanek deportiert worden war, saß zum Zeitpunkt des Prozesses dem VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) als Vorsitzender vor. Peter Gingold hatte als KPD-Mitglied im Exil in der französischen Résistance und auch im Partisanenkampf in Norditalien gegen die deutschen Besatzungskräfte agiert. Nach dem Krieg engagierte er sich in der VVN-BdA und im Auschwitz-Komittee. Auch Roman Rubinstein und Marcel Grünberg waren in der französischen Résistance aktiv gewesen.
In Köln schonte Kaul die Prozessbeteiligten und insbesondere die Angeklagten nicht: Einmal fragte Kaul den Angeklagten Herbert Hagen nach dessen SD-Tätigkeit. Als Hagens Anwalt versuchte, eine Antwort zu verhindern und behauptete, dass Hagen eine Aussagegenehmigung brauche, entgegnete Kaul nur: „Soll ihm die etwa Hitler erteilen?“ Im Gegensatz zu früheren Prozessen aber fand Kaul in Köln nur wenig Raum für seine spektakulären Auftritte. Der Vorsitzende Richter im Lischka-Prozess wusste das geschickt zu verhindern, indem er den Anwalt auf die juristische Sachebene festlegte. Sein Schlussplädoyer nutzte Kaul allerdings, um die bruchlose Kontinuität der Eliten vom Dritten Reich bis in die bundesrepublikanische Gesellschaft anzuprangern und die unzureichende Rechtsprechung in NS-Verfahren zu kritisieren.
„Die Justiz der Bundesrepublik hat sich benommen wie ein Jagdhund, der zur Jagd getragen werden muß.“
Kaul im WDR-Landesspiegel, 1980
Als z.B. der Nebenkläger Friedrich Karl Kaul Herbert-Martin Hagen nach seiner Gestapotätigkeit fragte, intervenierte einer der Strafverteidiger und forderte Hagen auf: „Machen Sie darüber keine Angaben, dafür brauchen Sie eine Aussagegenehmigung“, woraufhin
Kaul fragte: „Soll ihm die etwa Hitler erteilen?“
und Richter Faßbender in rheinischem Dialekt konstatierte: „Dat war ne starke Hammer, Herr Verteidiger“.