Der Lischka Prozess

 

Die Kinder von Izieu

„Die französische Republik ehrt die Opfer der rassistischen, antisemitischen Verfolgung und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen mit der Komplizenschaft der Regierung von Vichy, genannt ‚Regierung des französischen Staats‘ (1940-1944).“

(Inschrift am ehemaligen Kinderheim Maison d’Izieu, bei Lyon, seit 1994 eine Gedenkstätte.)

Das Vichy-Regime und die Verfolgung der Juden in Frankreich

Von Juli 1940 bis August 1944 war Vichy der Sitz der französischen Regierung, die nach der militärischen Niederlage den deutschen Besatzern die Zusammenarbeit (Kollaboration) anbot und die autoritäre Erneuerung der französischen Gesellschaft anstrebte. Die französische Polizei beteiligte sich 1942 eigenmächtig an den Deportationen der Juden in die Vernichtungslager. Die Gesellschaft war tief gespalten, es gab sowohl Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus als auch Hilfe und Solidarität mit Juden.

Nach der Einnahme Frankreichs bot Staatschef Philippe Pétain der deutschen Regierung den Waffenstillstand an, der am 22. Juni 1940 unterzeichnet wurde. Die Gesetze der Vichy-Regierung galten, soweit sie nicht den deutschen Anordnungen widersprachen, auch in Nordfrankreich. Das Vichy-Regime praktizierte von Anfang an eine antisemitische Politik. Am 3. Oktober 1940 wurde das erste Statut des Juifs erlassen, in dem erstmals von einer „jüdischen Rasse“ die Rede war. Juden wurde die Ausübung politischer Tätigkeiten und der Zugang zu öffentlichen Ämtern verwehrt. Am folgenden Tag wurde die Internierung ausländischer Juden in speziellen Lagern ermöglicht. Das 1941 gegründete Commissariat général aux questions juives hatte die Aufgabe, die „Gesamtabschiebung der Juden“ vorzubereiten.

Mit dem zweiten Judenstatut vom 2. Juni 1941 wurde die behördliche Registrierung aller Juden veranlasst. Im Juli 1941 wurde die Konfiszierung jüdischer Unternehmen verfügt, wobei der Ausdruck „Arisierung“ erstmals auftauchte. Mitte 1942 begann die Umsetzung der „Endlösung“ in Frankreich. Die französische Polizei hatte umfangreiche Erfahrungen bei der Verfolgung von Exilanten, Arbeitsmigranten und ausländischen Juden gesammelt. Das Lager Rivesaltes wurde zu einem Zentrum der Deportationen.

Im Frühjahr 1941 fanden die ersten Massenverhaftungen ausländischer Juden statt. Trotz der Repression wuchs der Widerstand innerhalb der französischen Bevölkerung. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion wurden insbesondere die Sektionen der Kommunistischen Partei aktiv. Im August 1941 fanden mehrere Attentate auf deutsche Soldaten statt, woraufhin massenhaft Juden interniert und Geiselerschießungen durchgeführt wurden. Am 27. März 1942 fuhr der erste Transport aus Drancy nach Auschwitz.

Die Vichy-Regierung genehmigte die Deportation ausländischer Juden im Juli 1942. Der Befehlshaber der Sipo-SD in Frankreich, Helmut Knochen, und Herbert Hagen gaben den französischen Stellen die Vorgaben für die Verhaftungen. Aufgrund des brutalen Vorgehens der Polizei kam es zu Protesten in der Bevölkerung, insbesondere bei Kirchenvertretern. Viele Juden wurden vor den Razzien gewarnt und versteckten sich. Viele jüdische Jugendliche und Erwachsene schlossen sich dem Maquis an. Ohne die Mitwirkung der Regierung, Polizei und Verwaltung wären die Deutschen nicht in der Lage gewesen, Massenverhaftungen und Deportationen durchzuführen. Fast 76.000 Juden wurden deportiert, nur 2.560 überlebten. Weitere 4.000 Juden starben in französischen Lagern.

Die aus Frankreich deportierten jüdischen Kinder

Nach der Pogromnacht 1938 wurden viele jüdische Kinder nach Belgien und Frankreich gebracht. Zwei Jahre später marschierten die Deutschen ein, und wiederum zwei Jahre später fuhren die ersten Deportationszüge nach Auschwitz. Ab Sommer 1942 wurden tausende Kinder deportiert. Lischka, Hagen und Heinrichsohn waren an diesen Deportationen beteiligt.

Die Pogrome im November 1938 trieben viele jüdische Familien in die Emigration, meist nach Belgien. Nach der Besetzung Belgiens durch deutsche Truppen im Mai 1940 wurde die Weiterreise nach Frankreich organisiert. Als Nord-Frankreich besetzt und im Süden das Vichy-Regime etabliert wurde, waren die Kinder erneut in Gefahr. Ab März 1942 begannen die Deportationen aus der Nordzone, ab August aus der Südzone. Zunächst waren nur Erwachsene zwischen 16 und 45 Jahren ohne französische Staatsbürgerschaft betroffen. Am 4. Juli 1942 bot Ministerpräsident Pierre Laval den Deutschen auch die Übergabe der in Frankreich geborenen Kinder an. Der erste Transport mit Kindern verließ am 14. August 1942 Le Bourget-Drancy. Viele dieser Kinder wurden sofort nach ihrer Ankunft in Auschwitz vergast.

Viele Kinder konnten durch die Unterstützung von Hilfsorganisationen, Kirchengemeinden, Nachbarn und engagierten Bürgern gerettet werden. Sie überlebten in Verstecken oder unter falscher Identität. Die Organisation Œuvre de Secours aux Enfants (OSE) holte Kinder aus Internierungslagern und schützte sie vor der Deportation. Viele dieser Kinder überlebten die Shoah.

Auch für versteckte Kinder wurde die Gefahr der Entdeckung durch gezielte Razzien immer größer. Am 6. April 1944 wurden 44 „Kinder von Izieu“ und ihre sieben Betreuer nach Auschwitz gebracht. Nur die Erzieherin Lea Feldblum überlebte. Im Juli 1944 wurden mehr als 300 Waisenkinder aus Frankreich nach Auschwitz deportiert.

Bis Ende 1944 wurden mehr als 14.000 Kinder und Jugendliche aus Frankreich deportiert. Unter den etwa 76.000 deportierten Juden befanden sich ca. 12.000 Kinder und Jugendliche, die überwiegend ermordet wurden.

Die Kinder von Izieu waren 44 jüdische Waisenkinder, die am 6. April 1944 auf Befehl des Gestapo-Chefs von Lyon, Klaus Barbie, zusammen mit ihren sieben Betreuern verschleppt und über Drancy in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden. Von Mai 1943 bis April 1944 hatte ein Hofgut in der Gemeinde Izieu, etwa 80 Kilometer von Lyon entfernt, unter dem Namen La Maison d’Izieu jüdische Kinder unterschiedlicher Nationalität aufgenommen, deren Eltern von den Nationalsozialisten deportiert worden waren.