Der Lischka Prozess
Selbst in den dunkelsten Kapiteln der Geschichte können Verbindungen zwischen Menschen Stärke und Kraft geben. Die Beziehung zwischen Serge und Beate Klarsfeld war mehr als nur eine Liebesbeziehung oder lebenslange Partnerschaft; die Beziehung war entscheidend geprägt von dem gemeinsam durchlebten Prozess der Schmerzverarbeitung und des Resilienzerwerbs. Sie fanden Trost und Stärke in ihrer gegenseitigen Unterstützung. Ihre Liebe und ihr gemeinsamer Aktivismus wurden zu einem mächtigen Werkzeug, um die Verantwortlichen für die Verbrechen der Shoah zur Rechenschaft zu ziehen.
Das Leben von Serge Klarsfeld (17. September, Bukarest) wurde früh von den Schrecken der Shoah geprägt, als er als Achtjähriger in Nizza beinahe Opfer der Razzien des SS-Kommandos von Alois Brunner geworden wäre. Sein Vater rettete ihn, indem er sich weigerte, sich mit ihm zu verstecken, um keinen Verdacht zu erregen. Serge spürte den schmerzhaften Verlust des Vaters ein ganzes Leben lang, und war für ein zentrales Motiv, sich für die Anerkennung der Opfer und Überlebenden der Shoah einzusetzen. „Das waren nicht 6 Millionen, das waren 1 plus 1 plus 1 plus 1 und nur so kommt man auf 6 Millionen“ war seine Handlungsmaxime. Immer waren ihm die individuellen Schicksale und Menschen wichtig. Er stellte auch immer wieder heraus, wie wichtig es für die Überlebenden sei, sich in Gruppen zusammenzuschließen und für Gerechtigkeit zu kämpfen. „Zusammen sind wir stark und glücklich. Allein können wir nicht viel erreichen“, sagte er.
Beate Klarsfeld (13. Februar 1939 Berlin) wuchs in einer Zeit auf, die noch unmittelbar von den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Herrschaft geprägt war. Sie betonte: „Mir war klar, dass ich mich als Deutsche der Geschichte stellen muss, der Geschichte meines Volkes.“ Diese Erkenntnis trieb sie an, sich aktiv mit der deutschen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Begegnung mit Serge Klarsfeld wurde für sie zur treibenden Kraft, sich dieser Auseinandersetzung zu stellen.Gemeinsam wurden die beiden zu einem Team, das unermüdlich gegen das Vergessen und die Straflosigkeit von NS-Tätern kämpfte. Sie gründeten 1979 die Vereinigung „Fils et Filles de déportés Juifs de France“ (FFDJF), um die Erinnerung an die Opfer und Überlebenden der Shoah wachzuhalten und Anerkennung und Gerechtigkeit zu erreichen. Für ihr Engagement als Nazi-Jäger erhielten sie internationale Anerkennung und wurden mehrfach ausgezeichnet für ihren unerschütterlichen Einsatz ausgezeichnet. Erst 2015 erhielt das Ehepaar das Bundesverdienstkreuz. 2024 wurde Beate Klarsfeld von Emmanuel Macron zum Groß-Offizier der Ehrenlegion ernannt, und Serge Klarsfeld erhielt das Großkreuz der Ehrenlegion. Bereits 1984 wurde Beate Klarsfeld vom damaligen französische Präsidenten François Mitterrand als „Ritter der Ehrenlegion“ geehrt, und 2007 von Präsident Nicolas Sarkozy zum „Offizier der Ehrenlegion“ ernannt.
Die Klarsfelds wurden für ihre konfrontativen Aktionen gegen ehemalige Nationalsozialisten und Kollaborateure bekannt. Ihre provokanten Protestaktionen machten deutlich, dass sie keine Kompromisse bei der Aufdeckung von NS-Verbrechen akzeptierten. Bei ihren Recherchen rückten sie die individuellen Schicksale der Opfer in den Vordergrund und unterstrichen auch damit die Einsicht in die Erkenntnis, dass der Völkermord gegen jüdische Menschen gerichtet gewesen war. Den von dem Verlust und den traumatischen Schmerzen gezeichneten Überlebenden wollten sie Selbstbewusstsein und Identität zurückgeben. „Es mussten Serge und Beate und die Vereinigung der Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreich sein, die diese umfangreiche Recherche unternahmen um jedem Opfer eine Identität (…) zurückzugeben, um sie aus dem Trümmern der Geschichte (…) herauszuholen und um sie wieder ans Tageslicht zu bringen“, betonte ein Sprecher bei einer Gedenkfeier in Israel. Bereits 1974 wurde Beate Klarsfeld in Israel die „Tapferkeitsmedaille der Ghettokämpfer“ verliehen.
Verfasst von Melissa Scheid/Anne Klein
Klein, Anne, Fils et Filles des Déportés de France, Psychologie & Gesellschaftskritik, 2023