Der Lischka Prozess
1940-1983
Henri Golubs Eltern waren polnische Juden, die Anfang der 1930er Jahre nach Frankreich kamen. Sie heirateten 1936. Malka und Judka Golub hatten eine kleine Schneiderei. Henri wurde im Frühjahr 1940 geboren. Am 14. Mai 1941 erschien sein Vater zu einer Vorladung auf der Polizeiwache, von der er nicht zurückkam. Er wurde am 25. Juni 1941 mit dem Konvoi Nr. 4 von Drancy nach Auschwitz deportiert. Während der Razzien gegen ausländische Juden am 21. Juli 1942 (Razzia Vél‘ d’Hiv), hörte Malka Golub die Polizei schon im Hof und auf der Treppe. Sie hat gerade noch Zeit, ihr Baby einem Nachbarn anzuvertrauen. Malka wird später eine der 500 Erwachsenen und 500 Kinder sein, die im Konvoi Nr. 22 nach Auschwitz deportiert werden.
Der zweieinhalbjährige Henri konnte so gerettet werden. Er wird zu von Nachbarn namens Vicens gebracht, die ihn an Schwager und Schwägerin in Arras weitergaben. Der kleine Junge blieb eine Weile in Pas-de-Calais, bevor er in Courlon-sur-Yonne von Mélina und René Bouland aufgenommen wurde. Sie waren ein[J1] kinderloses Paar, das von seinen Ersparnissen lebte. Ihr Feinkostgeschäft in einem Pariser Vorort mussten sie bei der deutschen Besatzung schließen. Henri Golub galt als „der Neffe“ der Boulands. Er blieb bis 1948 in Courlon, dann zog er zu einer Tante. Über seine Kindheit bei den Boulands sagte er später in einem Interview mit der französischen Zeitschrift Elle: „Ich habe einen Teil meiner Kindheit mit diesen großzügigen und guten Menschen verbracht, die ich „mein Onkel“ und „meine Tante“ nannte. Ich stellte mir vor, dass das Leben so wäre und dass manche Kinder einen Vater und eine Mutter hätten, andere einen Onkel und eine Tante. Ich gehörte zur zweiten Kategorie. Ich habe nicht darunter gelitten, Waise zu sein, ich wusste nicht, was das bedeutete. Ein Vater, eine Mutter, ich wusste nicht wirklich, was das war. […] Später, viel später wurde mir klar, dass alle Kinder einen Vater und eine Mutter haben. Das hat mir Probleme bereitet. […] Heute sind meine Eltern die 6 Millionen ermordeten Juden.“
Henri Golub war erster Präsident der FFDJF. Er starb am 12. Oktober 1983 im Alter von 43 Jahren. Auf Wunsch seiner Tochter Deborah haben Schulkinder von Courlon-sur-Yonne sein Schicksal rekonstruiert und wurden dafür von Yad Vashem mit dem Gerechten-Diplom geehrt.
https://www.liberation.fr/france-archive/2008/03/03/un-village-a-l-heure-des-justes_66352