Der Lischka Prozess
Die Nebenklage ist ein juristisches Instrument, um die Rechte von Opfern im Prozessgeschehen zu stärken. 1953 wurde auch Hinterbliebenen – und nicht nur Geschädigten – diese Möglichkeit, ihre „Stimme vor Gericht“ zu erheben, eingeräumt. Verbrechensopfer können als Nebenkläger viel aktiver agieren, als wenn sie nur als Zeuginnen geladen wären. Die Nebenkläger haben das Recht auf Akteneinsicht, können ZeugInnen befragen, eigene Beweisanträge einbringen und bei Prozessende ein Plädoyer halten. Im Zuge der Frauenbewegung wurde 1986 das erste bundesdeutsche Opferschutzgesetz erlassen, das erneut die Stellung und eben den Schutz der Opfer im Strafverfahren stärkte (Nachkriegsjustiz).
Die drei Rechtsanwälte Serge Klarsfeld, Friedrich Kaul und Detlev Hartmann treten im Kölner Lischka-Prozess als Nebenkläger für die Opferseite auf. Kaul vertritt Angehörige von Überlebenden aus der DDR[1] und Hartmann vertritt diejenigen, die in der Kölner Zeit oder später bei Lischkas Tätigkeit im RSHA zum Opfer gefallen sind. Dabei geht es auch um die Verbrechen, die die SS im Kontext der „Gegnerbekämpfung“ an Oppositionellen, Widerstandskämpfern und Résistance-Angehörigen verübt hat, in Frankreich z.B. die „Geiselerschießungen“. Diese „Verbrechen außerhalb von Lagern“ sind im Grunde aus dem Kölner Verfahren ausgegliedert. Im Lischka-Prozess geht es nur um die „Verbrechen in den Lagern“ und dazu gehört auch der „Frankreich-Komplex“. Die wichtigste Rolle nimmt daher Serge Klarsfeld ein, der als Rechtsanwalt nicht nur die jüdischen Überlebenden aus Frankreich vertritt, sondern selbst der Gruppe der Überlebenden angehört.
Die Jüdinnen und Juden, deren Angehörige aus Frankreich in die nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden, oder auch diejenigen, die selbst deportiert wurden, die Lager jedoch überlebt haben, sind also nicht nur als Opfer oder Zeuginnen und Zeugen im Gerichtssaal präsent, sondern in der aktiven Rolle als Nebenklägerinnen und Nebenkläger, vertreten durch Serge Klarsfeld. Die jüdischen Überlebenden, ihre Angehörigen und Nachkomm*innen sind international vernetzt: Sie leben nicht nur in Frankreich, sondern auch in den Vereinigten Staaten, Israel oder anderen Ländern und haben sich vielfach in Gedenken an ihre ermordeten Familienangehörigen zusammen gefunden. Zudem verfügten zwei Drittel der aus Frankeich deportierten Jüdinnen und Juden während der Vichy-Zeit gar nicht über die französische Staatsbürgerschaft, sondern wurden als ImmigrantInnen deportiert.
Serge Klarsfeld beispielsweise hatte aufgrund seiner Herkunftsfamilie auch nach dem Krieg enge Verbindungen nach Rumänien, zudem war er seit 1965 mehrmals in Polen gewesen, um die Gedenkstätte im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz zu besuchen. Außerdem hatte er gute Kontakte nach Israel, wo er in den 1970er Jahren den Militärdienst absolvierte. Dies erklärt – neben anderen Aspekten – das starke internationale Interesse am Kölner Lischka-Prozess. Auch aus diesem Grund war es wichtig, dass die jüdischen Opfer im Kölner Prozess in juristischer Hinsicht Rückenstärkung erhielten und durch die Nebenklage im Gerichtssaal eine wirksame Stimme innehatten.
[1] Bis zu seinem Tod 1981 vertrat Kaul in circa zwanzig NS-Prozessen NebenklägerInnen aus der DDR und anderen Staaten. Vgl. Katharina Stengel, Eine jüdische Stimme vor Gericht- Internationale jüdische Organisationen und die Etablierung der Nebenklage in NS-Prozessen, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 2023/Heft 3, S. 449-481, hier S. 477.