Der Lischka Prozess
Am 23. Oktober 1979 begann vor dem Landgericht Köln das Strafverfahren gegen Kurt Lischka, Herbert Martin Hagen und Ernst Heinrichsohn. Die drei Männer hatten während der deutschen Besatzung von 1940 bis 1944 in Frankreich als Angehörige des Reichssicherheitshauptamtes die Deportation von mehr als 76.000 französischen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager organisiert. Lediglich 2.560 der französischen Juden hatten den Holocaust überlebt. An nur 35 Verhandlungstagen mussten sich die drei Angeklagten im sogenannten Lischka-Prozess wegen Beihilfe zu zehntausendfachem Mord verantworten.
Strafprozesse gegen Täterinnen und Täter aus der Zeit des Nationalsozialismus boten stets Anlass, die ungeklärten Fragen von Schuld und Verantwortung, Reue und Wiedergutmachung neu zu stellen. Die von den Medien auf die knappe Formel „Lischka-Prozess“ reduzierte Kölner Verhandlung markierte eine Wegmarke im justiziellen und gesellschaftlichen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. Das Medieninteresse, das der Prozess hervorrief, ist ein Indiz für dessen besondere Stellung. Dieses Interesse blieb zwar geringer als etwa beim Jerusalemer Eichmann-Prozess im Jahr 1961 oder beim Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963 bis 1965; jedoch erfuhr das Kölner Verfahren deutlich mehr Aufmerksamkeit als andere NS-Prozesse.
Auf den Lischka-Prozess reagierten Zeitungen und Rundfunkanstalten auf nationaler und internationaler Ebene, nicht zuletzt aufgrund seiner spektakulären Vorgeschichte, die sich wie ein historischer Krimi liest.
Der gebürtige Breslauer Kurt Lischka hatte von Ende 1939 bis Anfang 1940 das Amt des Gestapostellenleiters in Köln innegehabt und fungierte danach als Stellvertreter des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes für Frankreich und Belgien, bis er im Jahr 1943 im Reichssicherheitshauptamt in Berlin die Leitung des Referats für das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ übernahm. Britische Truppen hatten den unter dem Pseudonym „Leisner“ abgetauchten Lischka nach Kriegsende an der Nordseeküste Schleswig-Holsteins aufgegriffen und 1947 an die Tschechoslowakei ausgeliefert, da er an der Ermordung zweier tschechischer Generäle beteiligt gewesen war. Drei Jahre später wurde Lischka freigelassen, und er kehrte mit seiner Frau in die Bundesrepublik zurück, um sich wieder in Köln niederzulassen. Das kinderlose Ehepaar wählte ein unscheinbares Mietshaus in der Bergisch-Gladbacher Straße 554 im Kölner Stadtteil Holweide als Wohnort. Kurt Lischka arbeitete für einen befreundeten Getreidegroßhändler als Prokurist in dessen Firma am Breslauer Platz in der Kölner Innenstadt. Bis auf gelegentliche publizistische Angriffe aus der DDR lebte Lischka bis Anfang der siebziger Jahre unbehelligt in Köln. Er legte sich nicht einmal einen Decknamen zu. Die Justiz konfrontierte ihn nur insofern mit seiner Vergangenheit, als dass sie ihn als Zeuge in zwei anderen NS-Verfahren anhörte. Erst das deutsch-französische Ehepaar Klarsfeld störte diese Ruhe.
Die Klarsfelds hatten Lischkas Wohnsitz über die Telefonauskunft recherchiert und wollten für das israelische Fernsehen und für das französische Magazin Combat, das einst als Untergrundzeitschrift der Résistance gegründet worden war, über die Straffreiheit des Schreibtischtäters Lischka und anderer NS-Verbrecher berichten. Ziel der Beiträge war es, auf deren ungestörtes Leben in der Bundesrepublik aufmerksam zu machen und gleichzeitig die Tatsache zu skandalisieren, dass die deutsche Justiz sich weigerte, die Verantwortung für deren Strafverfolgung zu übernehmen. Am 22. Februar 1971 drehte das Ehepaar Klarsfeld zusammen mit dem vom israelischen Fernsehen beauftragten freiberuflichen Kölner Kameramann Harry Zwi Dreifuss einen Filmbeitrag über Herbert Martin Hagen an dessen Wohnsitz im sauerländischen Warstein. Serge Klarsfeld konfrontierte Hagen mit belastenden Dokumenten aus dessen Pariser Zeit. Der ehemalige Referent des SS- und Polizeiführers in Frankreich und Leiter des Nachrichtendienstes stritt jedoch – trotz der erdrückenden Beweislast der von ihm unterschriebenen Deportationsbefehle – jegliche Verantwortung für die Geschehnisse in Frankreich ab. Einen Tag später filmte das Team Kurt Lischka auf seinem täglichen Weg von Köln-Holweide zu seiner Arbeitsstelle in der Kölner Innenstadt. Die Verfolger verzichteten darauf, dem gut gekleideten Mann den Weg zu versperren oder ihn anzusprechen. Sie wollten den ehemaligen Gestapo-Beamten, wie Dreifuss später bemerkte, als „freien Mann“ filmen. Lischka versuchte vergeblich, sich der Kamera zu entziehen, indem er die Straßenseite wechselte und sein Gesicht dabei hinter einer Aktentasche verbarg. Diese Geste, der hilflose Versuch des Täters, sich zu anonymisieren, evozierte das Bild eines Schuldeingeständnisses. Das israelische Fernsehen strahlte die Filmaufnahmen kurze Zeit später aus.
Die Bilder sorgten international für Aufsehen. Dennoch bewegte sich juristisch in der Bundesrepublik in der „Angelegenheit Lischka“ erst einmal gar nichts. Daher griffen die Klarsfelds einen Monat später zu drastischen Maßnahmen. Einen ersten Versuch, Lischka zu entführen, musste das Ehepaar am Vormittag des 22. März 1971 in Holweide noch abbrechen, da zu viele Passanten anwesend waren. Gegen Mittag versuchten sie zusammen mit einem befreundeten Arzt und einer weiteren Person erneut, Lischka vor seiner Haustür in Holweide zu entführen und den ehemaligen Obersturmbannführer an seinen früheren Arbeitsplatz im Pariser Justizpalast zu bringen. Sie hofften, auf diese Art und Weise die ungesühnten Verbrechen der Vergangenheit medienwirksam ins Bewusstsein rücken zu können und ein neues Strafverfahren gegen den in Frankreich in Abwesenheit bereits verurteilten Lischka zu ermöglichen. Der Entführungsversuch scheiterte allerdings, da es den Aktivisten nicht gelang, Lischka zu überwältigen. Ein zufällig vorbeikommender Eisenbahnpolizist hatte das Unterfangen vereitelt, indem er dem fast zwei Meter großen Mann zu Hilfe gekommen war, sodass die Klarsfelds ohne Lischka nach Paris zurückkehren mussten.
Die Kölner Polizei war zunächst nicht von einer politisch motivierten Straftat ausgegangen, denn die ermittelnden Beamten wussten laut eigenen Angaben zunächst nicht, um wen es sich bei Kurt Lischka handelte. Der Geschäftsmann selbst hatte aus verständlichen Gründen keinen Hinweis auf seine NS-Vergangenheit gegeben. Am nächsten Tag hielt Beate Klarsfeld deshaalb in Paris eine Pressekonferenz ab. Sie bekannte sich zu dem Entführungsversuch und warf der Kölner Polizei vor, die mit der Person Lischkas verbundenen vergangenheitspolitischen Kontexte bewusst zu verschweigen. Für Kurt Lischka bedeutete diese öffentliche Darstellung „das Ende der Gemütlichkeit“. Die Konsequenz des Entführungsversuchs war, dass die deutschen Behörden strafrechtlich gegen die Klarsfelds ermittelten und nicht etwa gegen Kurt Lischka. Das Ehepaar zeigte sich bereit, mit den Behörden zu kooperieren und sich einem Gericht zu stellen. Durch den drohenden Gefängnisaufenthalt hoffte man, die internationale Öffentlichkeit auf den Fall „Lischka“ aufmerksam machen zu können. Als Beate Klarsfeld am 1. April 1971 mit einem Mitglied der Ligue Internationale Contre le Racisme et l’Antisémitisme (LICA) vor dem Landgericht Köln erschien, um belastendes Material gegen Lischka vorzulegen, wurde sie verhaftet. Sie ließ sich zunächst von Anwälten einer Kölner Sozietät, später dann durch den DDR-Staranwalt Friedrich Karl Kaul vertreten, was vor dem Hintergrund des Kalten Krieges die Brisanz dieses Verfahrens erhöhte. Eine von einem französischen Privatmann gestellte und von einem Pariser Bankhaus angewiesene Kaution ermöglichte am 17. April 1971 schließlich die vorläufige Freilassung Beate Klarsfelds.
Die mediale Darstellung der Vorgeschichte des Lischka-Prozesses gestaltete sich zur Zeit des Entführungsversuchs Anfang der siebziger Jahre äußerst einseitig. Die Journalisten folgten in ihren Wertungen zum größten Teil der Berichterstattung über die Kanzler-Ohrfeige, die die als „Ohrfeigen-Beate“ diskreditierte Aktivistin dem CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger 1968 wegen seiner NS-Vergangenheit verpasst hatte. Die skandalöse Straffreiheit Kurt Lischkas rissen die meisten Kommentatoren zwar kurz an, die Aufmerksamkeit aber richteten sie vor allem auf die versuchte Entführung, die nicht als legitime Form des zivilen Widerstands akzeptiert wurde. Einige Redakteure rückten die Aktion gar in die Nähe des RAF-Terrorismus. Um den organisierten Charakter der Aktion hervorzuheben, entwarfen sie das Bild von der „Klarsfeldgruppe“. Eine Kölner Boulevardzeitung etwa stellte folgenden Vergleich an: „So dilettantisch die Klarsfeldgruppe – in Anlehnung an die Revolverschwinger der Meinhofbande aufgebaut – die gescheiterte Entführung durchführte, so exzellent recherchierte Klarsfeldgatte Serge (ein gebürtiger Russe) die Vergangenheit des Opfers.“ Der französische Staatsbürger Serge Klarsfeld wurde in diesem Artikel also kurzerhand zum Russen erklärt. Dies entsprach offenbar eher dem Bild eines „Nazijägers“ und aktivierte zugleich das antikommunistische Feindbild „des Russen“.
Bereits im Zuge der Ohrfeigen-Affäre war Beate Klarsfeld als psychisch krank dargestellt worden; im Kontext des Entführungsversuchs belegten Journalisten sie nun mit misogynen Attributen wie „hysterisch“ und „fanatisch“. Eine Kölner Tageszeitung titelte unmittelbar nach ihrer Freilassung aus der Untersuchungshaft in der Kölner Justizvollzugsanstalt Ossendorf wie folgt: „Die leichten Mädchen, die mit mir in Ossendorf saßen, wollten Autogramme oder einen juristischen Tipp.‘ Beate Klarsfeld, seit fünf Stunden wieder in Freiheit, plaudert bei einem Pilsener.“ Die Charakterisierungen des Boulevardblatts konstruierten ein „Täterinnenbild“, dessen Konturen entlang geschlechtspolitischer Schablonen verliefen. Beate Klarsfeld sah sich psychologischen Deutungen ausgesetzt, die auf dem Klischee der fanatisierten Frau basierten. Anstelle von Kurt Lischka stand Beate Klarsfeld im Fokus der Berichterstattung und fand sich in einigen Kommentaren gar auf der Anklagebank wieder. Ihr Handeln wurde als irrational und als Ausdruck einer undemokratischen Gesinnung bewertet, Lischka hingegen stellten die Journalisten meist als Respektsperson dar. Einige Journalisten gaben ihm gar einen Doktortitel, der ihm nie verliehen worden war.
Im gleichen Atemzug wurde vielfach ein „Schlussstrich“ unter die NS-Aufarbeitung gefordert. Ein Kommentator beispielsweise bewertete den Entführungsversuch wie folgt: „Die Zeit der Scherbengerichte soll vorbei sein. […] Beate Klarsfeld ist auf Abwegen. Ihr Weg führt nicht zur Wahrheit, ihr Weg führt durch Haß und Gemütswallung. Emotionen sind schlechte Ratgeber, die uns wieder dahin führen, wo 1933 die Katastrophe begann. […] Uns ist ein Rechtsstaat, in dem manche Mörder frei herumlaufen lieber, als ein Staat, in dem das Faustrecht herrscht, dem Schuldige und Unschuldige zugleich zum Opfer fallen.“ Ähnliche Äußerungen fanden sich in Leserbriefen an Kölner Zeitungen.
Die Verbrechen der Kriegszeit sollen nicht vergessen und auch nicht gutgeheißen werden, aber ich glaube, dass die Verantwortlichen für diese Verbrechen in den Jahren nach dem Geschehen schon sehr viel abgebüßt haben. Wir erkennen weiterhin an, dass wir beim Aufbau Europas die Verbrechen des damaligen Feindes auch vergessen und eventuell begreifen müssen.
Die jüdischen Aktivistinnen und Aktivisten ließen sich von derartigen Zeitungsberichten nicht beirren und setzten ihren öffentlichen Protest fort. Anfang Mai 1973 drang eine Gruppe um Beate Klarsfeld während der Arbeitszeit in Kurt Lischkas Kölner Büro ein und demolierte das Mobiliar. Lischka war in diesem Fall nicht ganz wehrlos: Er hielt einen der Eindringlinge mit einer Pistole in Schach, die er sich nach einem Entführungsversuch besorgt hatte, und übergab ihn anschließend der Polizei. Serge Klarsfeld bedrohte Lischka wenige Monate später mit einer ungeladenen Pistole, was Lischka in Todesangst versetzte. Diese provokante Aktion schien die populistischen Mutmaßungen über den Geisteszustand von Beate und Serge Klarsfeld zu bestätigen: „Das ist Terror statt Sühne. Die Klarsfelds […] sind nicht mehr normal“, kommentierte die Kölnische Rundschau.
Aufgrund des immensen internationalen Drucks, den französische Demonstrantinnen und Demonstranten vor den Regierungsgebäuden in Bonn, Kundgebungen in Israel und Beratungen in der Knesset zum „Fall Klarsfeld“ auf die bundesdeutsche Justiz aufgebaut hatten, konnte Beate Klarsfeld bis zum Prozessbeginn auf freiem Fuß bleiben.
Als im Juni 1974 schließlich die Verhandlung gegen Beate Klarsfeld wegen des Entführungsversuchs vor dem Landgericht Köln am Appellhofplatz begann, begleiteten erneut heftige Demonstrationen französischer Bürger und einiger Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) das Verfahren. Die Proteste hielten über die gesamte Dauer des Prozesses an und eskalierten bereits am zweiten Verhandlungstag, als der Zeuge Lischka sich weigerte, über seine Biografie von 1936 bis 1945 Auskunft zu geben. Die publizierte Meinung, die zu Beginn des Prozesses noch tendenziell mit Kurt Lischka sympathisiert hatte, kippte mit der Vernehmung des ehemaligen SS-Obersturmbannführers. Der „Klarsfeld-Prozess“ wurde bereits zu diesem Zeitpunkt zu einem ersten „Lischka-Prozess“. Die bundesrepublikanischen Medien folgten nun der Darstellung ausländischer Berichterstatter, die sich über die Straffreiheit Lischkas empört hatten und die „verkehrte Welt“ im Kölner Gerichtssaal nicht verstanden. Die Neue Rheinzeitung etwa stellte folgende Überlegungen an:
„Die Aufgabe des Gerichts muss es sein, in Abwägung aller Tatbestände ein Urteil zu fällen. Aber ebenso wenig kann der Hintergrund dieses Prozesses allein eine Sache des Gerichts sein.“ Der eigentlich skandalöse Tatbestand war für die Lokalzeitung, dass „seit Jahr und Tag in unserer Mitte unbehelligt ein Mann [lebt], der für die Verschleppung und Ermordung Tausender von Juden verantwortlich ist“.
Die Verwaltung des Kölner Landgerichts war mit der Durchführung des Prozesses überfordert, und die rigide Verhandlungsführung des wegen seiner Härte bekannten Vorsitzenden Richters de Somoskeoy heizte die angespannte Atmosphäre weiter an. De Somoskeoy schloss die Öffentlichkeit aufgrund der Demonstrationen schließlich ganz von der Teilnahme aus, was nicht nur bei den französischen Aktivistinnen und Aktivisten, sondern auch bei vielen Medienvertretern auf massive Kritik stieß. Der Vorsitzende Richter sah in Beate Klarsfeld die hysterische „Ohrfeigen-Beate“ und äußerte bereits vor Prozessbeginn die Absicht, einen psychiatrischen Sachverständigen für sie zu laden. Er forderte auf so nachdrückliche Weise ein Gutachten, dass die Parallele zu den zeitgleich verhandelten Verfahren gegen die weiblichen Mitglieder der RAF nicht zu übersehen war. De Somoskeoy meinte, dass Frau Klarsfeld, „wie das ihrer Vorverurteilung zugrunde liegende Verhalten [die Kiesinger-Ohrfeige] beweist, zu unkontrolliertem Handeln neigt und sich von Augenblickseingebungen leiten lässt“.
Mit der Urteilsverkündung am 9. Juli 1974 sorgte das Gericht dann erneut für Aufregung: Beate Klarsfeld, die bereits 16 Tage in Untersuchungshaft verbracht hatte, erhielt zwei Monate Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Aufgrund der bereits verbüßten Haftzeit erließ das nordrhein-westfälische Justizministerium auf Initiative des zuständigen Ministers 1977 die Strafe.
Die Klarsfelds und die Fils et Filles des Déportés Juifs de France (F. F. D. J. F.), eine Organisation französischer Überlebender und Angehöriger von Opfern des Holocaust, hatten bis zur Eröffnung des Strafverfahrens gegen Lischka, Hagen und Heinrichsohn immer wieder auf die Straflosigkeit von NS-Tätern, die im besetzten Frankreich Verbrechen begangen hatten, aufmerksam gemacht. Nach dem Abbau politischer und juristischer Barrieren konnten diese Verfahren 1975 schließlich doch noch auf den Weg gebracht werden. Um eine breite Öffentlichkeit auf das Verfahren gegen Lischka, Hagen und Heinrichsohn aufmerksam zu machen, setzten die Aktivisten auf eine Doppelstrategie: Neben den Protestaktionen fanden begleitende Informationskampagnen statt. So demonstrierten sie unter anderem im fränkischen Miltenberg vor der Anwaltskanzlei des Angeklagten Ernst Heinrichsohn. Im sauerländischen Warstein folgten weitere Kundgebungen gegen Herbert Martin Hagen, bei denen einige Demonstranten, wie schon bei den Protesten in Köln und Bürgstadt, ihre frühere Häftlingskleidung aus den Konzentrations- und Vernichtungslagern trugen. Kurz vor Beginn des Lischka-Prozesses eröffneten die F. F. D. J. F. im Kölner Rathaus eine historische Ausstellung über den Holocaust in Frankreich. Dadurch versuchten sie, die Kölner Bürgerinnen und Bürger für das Thema zu sensibilisieren. Die Präsentation erfuhr sowohl eine wohlwollende mediale Resonanz als auch großen Zuspruch der Besucher. Ebenso nutzten die Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs das Medieninteresse für den fast zeitgleich in Düsseldorf stattfindenden Majdanek-Prozess. Sie demonstrierten vor dem Düsseldorfer Gerichtsgebäude, um auf das Verfahren gegen Lischka, Hagen und Heinrichsohn hinzuweisen.
Die gesellschaftlichen Eliten zeigten zu dieser Zeit eine auffällige Zurückhaltung und vermieden es, zu Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur öffentlich Stellung zu beziehen. So wohnten zum Beispiel keinem Gerichtsverfahren Vertreter aus Politik, Kirche, Wirtschaft und anderen Bereichen der Gesellschaft bei. Äußerungen von Politikern, Schriftstellern oder anderen Personen des öffentlichen Lebens blieben auch während des Lischka-Prozesses eine Ausnahme. Adalbert Rückerl, der Leiter der Ludwigsburger Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, unterstrich während des Kölner Prozesses, dass NS-Verfahren in der Bundesrepublik „nicht populär“ seien.
Nicht zuletzt aufgrund der intensiven Öffentlichkeitsarbeit der Aktivisten herrschte aber bereits zu Beginn des Prozesses im Oktober 1979 reger Andrang vor dem Kölner Gerichtsgebäude, was teils zu tumultartigen Situationen führte. Aus Anlass des Prozessbeginns waren Überlebende und Nachkommen der Opfer des Holocaust mit Sonderzügen der französischen Bahngesellschaft nach Köln gereist. Die große Zahl der Prozessbesucher, die als Zeichen ihres Protests wiederholt das Lied der Moorsoldaten anstimmten, überforderte die Verwaltung des Amtsgerichts, die zum ersten Verhandlungstag lediglich den zweitgrößten Prozesssaal zur Verfügung gestellt hatte. Mit 180 Plätzen war dieser schnell überfüllt. Vor dem Gerichtsgebäude kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, als etwa zweihundert Franzosen ihren Einlass erzwingen wollten. Ihre „Assassin“ („Mörder“)-Rufe waren auch im Gerichtssaal zu vernehmen.
An jedem Tag der folgenden 29 Sitzungen des Gerichts waren Juden aus Frankreich, Belgien oder Israel anwesend. Insgesamt absolvierten sie mehr als dreitausend Fahrten nach Köln, die Jahre vor dem Prozess mit eingeschlossen. Die jüdischen Demonstranten aus vielen Teilen Frankreichs bestiegen meist gegen Mitternacht in Paris den Nachtzug und kamen vormittags in Köln an, um am Ende des Prozestages wieder nach Hause zurückzukehren. Sie waren fest entschlossen, mit ihrer Präsenz den öffentlichen Druck auf die Justiz aufrechtzuerhalten und eine Verschleppung des Verfahrens oder gar eine Diffamierung der Opferzeugen – wie im Düsseldorfer Majdanek-Prozess – zu verhindern. Bereits die Berichterstattung vom ersten Verhandlungstag, der in der internationalen Presse auf große Resonanz gestoßen war, bestärkte die F. F. D. J. F. in ihrer Vorgehensweise.
Im Gegensatz zu den Artikeln über den Entführungsversuch und den Prozess gegen Beate Klarsfeld bemühten sich die Journalisten bei der Berichterstattung über den Lischka-Prozess überwiegend um Sachlichkeit. Ein Grund dafür war sicherlich auch der wechselhafte Verlauf des Prozesses, dessen Enttäuschungen und Erfolge nach Ansicht vieler Beobachter schon fast über das eigentliche Verfahren hinausgingen. Die Atmosphäre des Verfahrens, die zum Teil als chaotisch beschrieben wurde, führte dazu, dass sowohl die Verteidigung als auch die Anklage immer wieder vor dem Kölner Gericht auf die „verfahrensfeindliche“ Rolle der in- und ausländischen Medien verwiesen.
Am 22. September 1981 verurteilte das Landgericht Köln Kurt Lischka, den damaligen Leiter des Judenreferats der Sicherheitspolizei in Paris, wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit und seine Rolle in der „Aktion 1005“ – dem Versuch, Spuren der Vernichtungsmaschinerie zu verwischen – zu zehnjähriger Freiheitsstrafe.
Der gleichfalls in Köln geführte Prozess gegen die ehemaligen SS-Mitglieder Herbert Martin Hagen und Ernst Heinrichsohn endete mit vergleichbaren Urteilen: Herbert Martin Hagen wurde am 2. Dezember 1980 in der Berufung zu 8 Jahren und Ernst Heinrichsohn am 19. November 1981 wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu 4 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.